Wie arrogant muss ich sein, um sie alle „dumm“ zu nennen?

Ein Video, das polarisiert: Die Menschen sind einfach dumm

Vor einiger Zeit habe ich in bester Laune und sichtbarer Erleichterung ein Video aufgenommen und veröffentlicht, in dem ich „die Antwort auf alle Fragen“ ankündigte. Und tatsächlich, ich liefere die Antwort in dem Video auch. Sie lautet: Dummheit. Und das meine ich auch noch ernst.

Na klar, es gibt viele Arten von Intelligenz – und von Dummheit. Am wenigsten interessant fürs Leben, für die Menschheit und unseren Planeten finde ich dabei diejenige, die sich mit den klassischen Intelligenztest bemessen lässt. Dabei geht es ja rein um die Ratio. Natürlich ist die wichtig für uns. Aber in Bezug auf unser menschliches Miteinander, auf sämtliches Leben in unserer Welt, auf Liebe, Glück, Partnerschaft, Kooperation, Erfüllung und so viel mehr spielt diese messbare Form der rationalen Intelligenz nur eine untergeordnete Rolle.

Intelligenz, die uns wirklich hilft, wird grundsätzlich durch einen übergeordneten Blick gekennzeichnet. „Was bedeutet mein Verhalten für den anderen?“, „Welche Auswirkungen habe ich als ein Teil der Gesellschaft mit meinem Verhalten auf andere Teile der Gesellschaft und das System als Ganzes?“, „Welche langfristigen Folgen hat es, wenn ich jetzt stärker auf meine kurzfristigen Bedürfnisse achte als auf das große Ganze?“ usw. Diese – im besten Fall automatisch ablaufenden – Überlegungen sind es, die für mich Anzeichen für Intelligenz sind.

Video über Dummheit
Sascha Oliver Martin im Video über Dummheit als Antwort

Ist es nicht furchtbar arrogant, so viele Menschen als dumm zu bezeichnen?

Kurz vorweg: Ich bin ja nicht der – z.B. in der Politik teilweise doch erschreckend verbreiteten – Hybris verfallen, mich für den Erleuchteten zu halten und alle anderen für dumm zu halten. Kaum ein Mensch ist durchweg dumm. Und wohl niemand handelt durchweg frei von Dummheiten, auch ich nicht. Aber ich habe ja grundsätzlich Spaß am Polarisieren. Und ich hatte mich schon auf die vielen entsetzen Stimmen gefreut, die sich als Antwort auf mein Video erheben würden. Tatsächlich aber habe ich so unerwartet viel Zuspruch erfahren, dass ich entweder davon ausgehen kann, mit Dummheit ein minimales Randphänomen angesprochen zu haben, nur mit überaus intelligenten Menschen im Kontakt zu stehen oder dass es viele Verdränger gibt, die einfach ausblenden, dass auch sie selbst ähnliches Verhalten zeigen. Na, sagen mir mal, von jedem wird es etwas sein, das ist schon in Ordnung.  Jedenfalls hatte ich mit mehr Gegenwind gerechnet.

Empörung gab es aber natürlich auch. Ein von mir sehr geschätzter, durchaus intelligenter und bemerkenswerter Kunsthistoriker, riet mir, in meiner Eigenschaft als professioneller Keynote-Speaker künftig besser auf solche beleidigenden Aussagen zu verzichten. Und besonders Menschen, deren Verhalten ich im Video sogar explizit benannt hatte, ärgerten sich und klärten mich darüber auf, dass es ja wohl zahlreiche andere Gründe gäbe, um beispielsweise in einer 30-Zone zu schnell zu fahren, seinen Einkaufswagen mitten im Gang stehen zu lassen oder auf eine Nachricht nicht zu antworten. Zum Beispiel, dass man einfach nicht darüber nachdenkt.

Wie nennt man es doch gleich, wenn jemand etwas tut, ohne darüber nachzudenken?

Das spielt mir natürlich genau in die Karten. Jemand denkt also nur nicht nach, handelt aber trotzdem. Hm… ich finde es sehr witzig, denn das ist doch das, was gemeinhin als Dummheit bezeichnet wird, oder? Na gut, entscheidend ist noch, ob jemand überhaupt die Fähigkeit besitzt, über seine Handlungen nachzudenken und intelligente Entscheidungen bewusst zu treffen, oder ob er dazu per se nicht in der Lage ist. Aber nehmen wir mal das Beispiel derjenigen, die hier, in der wunderschönen, ländlichen, beschaulichen 30-Zone mit vielen Familien und Hunden, in der ich bewusst wohne, mit 50, 60 und selten auch mehr Stundenkilometern durchrasen.

Dass ich diesen Menschen durchweg Dummheit unterstelle, findet nicht jeder richtig. Es könne auch Unüberlegtheit sein (bezeichne ich in Kurzform als „Dummheit“ – zu handeln, ohne darüber nachzudenken). Oder eine Mutter muss ganz dringend ihr Kind von der Schule abholen (das als Anlass zu nehmen, Leben und Gesundheit der Anwohner zu gefährden, nenne ich „Dummheit“, da fehlt jemandem das Denkvermögen, um eine Verhältnismäßigkeit herzustellen). Ein anderer mag denken, er sei ein so guter Autofahrer, dass er bestimmt noch rechtzeitig bremsen könne, wenn mal wieder eines der kleinen Kinder plötzlich aus einer Grundstückseinfahrt mit seinem Roller herausschießt oder der sonst treu ohne Leine laufende Hund plötzlich auf die Straße springt, weil er von der Heckenschere erschreckt wurde (= Dummheit, hier kommt dann zusätzlich auch die Ratio zum Tragen, die beim Berechnen eines Anhalteweges hilft). Der nächste sei einfach rücksichtslos, aber als erfolgreicher Manager keinesfalls dumm (Dummheit in Bezug auf die Gesellschaft und das Miteinander, Dummheit in Bezug auf die unerkannte Größe des Unglücks, das sein Verhalten anrichten kann, Dummheit in Bezug auf seine gefühlte Bedeutung für sein Ego als lediglich ca. ein 7,6 Milliardstel der Menschheit dieser Erde, Dummheit in Bezug auf das Unverständnis für seine Verantwortung, Dummheit in Form des Gedankens, dass es ihm doch egal sei, aber in Wirklichkeit versteht er die Verletzbarkeit selbst seiner eigenen Seele – noch – nicht und noch viel mehr Dummheit…).

Dieses Beispiel lässt sich auf unzählige weitere Handlungen im Alltag übertragen. Ich bleibe also dabei – die Antwort auf die meisten verzweifelten Fragen des Alltags lautet: Dummheit! (Verzweifelt deshalb, weil ein Mensch, der ein Gefühl der Verbindung zu seiner Umwelt einschließlich Mitmenschen hat, viele Handlungen anderer nicht verstehen kann. )

Und genau das kann unglaublich befreiend und entlastend sein. Ich brauche nicht mehr so viel darüber nachzugrübeln, warum jemand etwas tut, weshalb er es wiederholt so macht, obwohl ich mir schon so oft Mühe geben habe, es ihm auf unterschiedliche Weise zu erklären. Er kann es einfach gar nicht verstehen, es geht nicht. Und damit gehört seine Handlung zu dem, das ich im Leben – wenn auch eher gezwungenermaßen – als gegeben hinnehmen kann. „Versuch macht kluch“, ok. Ein-, zweimal würde ich es probieren. Aber dann ist es auch gut. Dann ist es Zeit zu sagen „Er / Sie kann es einfach nicht besser. Kein Grund, böse zu sein. Kein Grund, weiter meine Zeit damit zu verschwenden. Dieser Mensch ist nicht imstande, besser zu handeln. Ich kann weitergehen und es besser machen.“